Der Die Das

Dokumentarfilm

D 2009, 92 min (Kino) / 58 min (TV), HDcam / Digibeta, 16/9, Dolby Surround

KINOSTART:  27.08.2009 TV - URAUFFÜHRUNG: 30.11.2009 NDR 

Ausgewählt vom Goethe-Institut für Bildungsarbeit im Ausland

Sanita schleicht sich mal wieder verschlafen und viel zu spät zur Tür herein. Sie setzt sich neben Bright, der seinen Kopf in den verschränkten Armen versteckt, als wäre er dann unsichtbar. Laethicia rückt ratlos ihre Plastikkrone zurecht und starrt auf den Rechenschieber, während Fuat lieber von einer Autofahrt mit seinem Vater träumt.

Bright, Sanita, Laethicia und Fuat leben in Berlin und haben das gleiche Problem – sie sind Schulanfänger. Denn egal ob nigerianisch, bosnisch, deutsch oder türkisch, zur Schule gehen heißt für die 6 bis 8-Jährigen die tägliche Konfrontation mit dem Gefühl, anders zu sein. Aber für Emotionen gibt es im vollen Klassenzimmer keinen Platz. Alltag ist ein einsamer Kampf um Anpassung und Leistung, der seine Ventile sucht. Wer kriegt eine Chance und wer bleibt Außen vor - eine Reise zurück in die Kindheit.

Eine Produktion der Hochschule für Film und Fernsehen - Konrad Wolf

Drehbuch, Regie, Schnitt Sophie Narr

Produktion Anja Stanislawski-Foest

Kamera Anne Misselwith

Tonschnitt Christian Simon

Mischung Henrik Cordes

Musik Chao Qu

Herstellungsleiter Holger Lochau

Festivals

2010

16. Ingolstädter Künstlerinnentage

2009

26. Kasseler Dok Fest NOMINIERUNG GOLDENER SCHLÜSSEL

32. Rencontres Henri Langlois - Festival Int. des Ecoles de Cinéma

Nonfiktionale - Festival des dokumentarischen Films

Bergen Internationales Film Festival, Norwegen

Astra Film Festival, Rumänien

Internationales Frauenfilm Festival Dortmund BILDGESTALTERINNENPREIS

2008

Achtung Berlin Festival – New Berlin Film Award NOMINIERUNG PREIS DER ÖKUMENISCHEN JURY

2. Filmfestival Wismar

25. Film / Video Tage Gera FÖRDERPREIS DES LANDESMEDIENZENTRUMS RHEINLAND-PFALZ

Jury Begründungen

Förderpreis des Landesmedienzentrum Rheinland - Pfalz 

In Kinderaugen blicken ist ein wenig wie in die Zukunft schauen – da scheint Hoffnung, blitzt  die Neugier, feixt der Schalk, lächelt die Sehnsucht. Aber sie können sich auch verdunkeln  und wir ahnen das Gegenteil von allem.

Sophie Narr und Anne Misselwitz lassen uns am  Schulanfängeralltag einiger Kinder aus dem Berliner Wedding teilhaben. Dass die meisten der Erstklässler keinen deutschen Familienhintergrund besitzen, fällt dabei weniger ins Gewicht, bleibt aber immer von Belang. Vielmehr sind es die neuen Anforderungen, die schnell zu Überforderungen werden können, ist es die Pflicht, die nun vor dem Vergnügen steht, sind es die (noch) unbekannten Strukturen, die den Schulalltag dominieren. 

Kein Kommentar „von draußen“. Die Kinder selbst erzählen in sensibel geführten Gesprächen von ihren kleinen und großen Hoffnungen, Wünschen, Sehnsüchten und - Problemen. Die Kamera beobachtet sie zurückhaltend und einfühlsam dabei, im Unterricht, in der Pause, vor und nach der Schule, in der Freizeit. Das alles immer auf Augenhöhe der Protagonisten, also würdevoll. Dramaturgisch klar gegliedert entstehen so aussagekräftige Mini-Porträts und die fügen sich zu einem Bildausschnitt unserer – multikulturellen - Gesellschaft in Deutschland im Jahre 2008.

„DER DIE DAS“ ist ein Film der kleinen, aber nachhaltigen Denkanstöße geworden, die, wenn wir ihnen nicht ausweichen, uns zu tieferen Überlegungen zwingen: Wie gehen wir  miteinander um, wie gehen wir mit unseren Kindern um, wie halten wir es mit der Zukunft – in der Familie, in der Schule, in der Gesellschaft?

 

 

Internationales Frauenfilmfestival Dortmund

Jury: Sophie Maintigneux, Bella Halben, Ute Freund

Der Die Das

Immer auf Augenhöhe.

Respektvoll, zurückhaltend, liebevoll.

Geduldig, gelassen, beobachtend.

Eine Klasse im ersten Schuljahr, ein Ort, den wir alle kennen, an dem häufig die ersten Konflikte entstehen. Wir tauchen ein in die Welt von Fuat, Laethicia, Bright und Sanita. Anne Misselwitz ermöglicht uns durch ihre intuitive Kameraführung ein unmittelbares Miterleben und Mitfühlen. Ihr unvoreingenommener Blick, der nie bewertend oder aufdringlich ist, hinterlässt Spuren.

 

Pressestimmen

Radio Eins: DVD DER WOCHE

»Dieser Film ist zu klug um auf all die gesellschaftspolitischen und politischen Fragen, die er aufwirft, eine einfache Antwort zu geben.« (Anke Leweke, 14.09.2009)

  

Taz: EIN STIRNRUNZELN ERZÄHLT EINIGES

»Dieser rein beobachtende Film ist mehr als ein Kommentar zur deutschen Bildungs- und Einwandererpolitik. Der Zuschauer wird mitgenommen in den Alltag von Kindern, die tapfer den Anforderungen im Unterricht begegnen, aber auch gegen die Lebensumstände außerhalb der Schule kämpfen.« (Anke Leweke, 27.08.2009)

 

Tagesspiegel: FLUCHEN JA, RECHNEN NEIN

»Von Großstadtsetting und betont nüchternem Ansatz her darf Narrs Film getrost als Gegenmodell zur eher sentimentalen französischen Zwergschulidylle gesehen werden. Gegen Philiberts heroischen Dorfschullehrer in »Être et Avoir/Sein und Haben« tritt im Wedding die Realität pädagogischer Überforderung.« 

(Silvia Hallensleben, 27.08.2009)

  

Berliner Zeitung: IM KELLER WÄCHST DER ZUCKERTÜTENBAUM

»Indem er auf Einordnungen und Kommentare verzichtet, verhindert dieser Film, dass der erwachsene Zuschauer die Unwägbarkeiten und die Herausforderungen, denen die Kinder ausgeliefert sind, mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen relativiert (…) Er nimmt damit die so ziemlich die entgegengesetzte Perspektive der Eltern ein, die ihre Kinder mit der Einschulung zu einem entscheidenden Teil in eine fremde Welt und aus ihrem Macht- und Sorgebereich entlassen.« (Ulrich Seidler, 26.08.2009)

 

Zitty: SCHULDOKUMENTATION

»Liebevoll porträtiert Sophie Narr kindliche Anpassungsgabe, Frustration und Rebellion. Die Realtiät prallt auf verträumte Kinderwelt: ein Film als eine Einladung für Erwachsene.« (Marisa Lange, 26.08.2009)

 

Tip: KOMMUNIKATIONSMANGEL

»Die Frage, die Sophie Narrs Film aufwirft, ist schmerzhaft akut: Wie ist es um eine Gesellschaft bestellt, die Unternehmungslust, Neugierde und Einfallsreichtum ihrer Kinder im Keim erstickt, weil sie sich nicht die Zeit nimmt, sie zu fördern?« - SEHENSWERT (Alexandra Seitz, 19.08.2009)

 

Deutschlandradio Kultur: STUDIO GESPRÄCH MIT SOPHIE NARR | Moderation: Frank Meyer, 25.08.2009

Radio Eins: 12 UHR MITTAGS Interview mit Sophie Narr | Moderation: Knut Elstermann, 29.08.2009

Der Die Das | filmdienst, 18/2009, Felicitas Kleiner

Der Die Das - Kommunikationsmangel | 19.08.2009, Tip, Alexandra Seitz

Schul-Dokus: Anschauungsunterricht 13.09.2010, Tagesspiegel, Caroline Fetscher

Der Die Das - Zwischen Pausenspiel und schulischem Ernst | PH Akzente, Susan Gürber

Regiekommentar


Wochenlang sitze ich mit scheinbarer Gleichgültigkeit bestraft in einer Ecke und schaue 22 fremden Kindern zwischen sechs und acht Jahren im Frontalunterricht zu. Sie sind mir nicht nur fremd, weil sie mir ihre Namen nicht nennen wollen, sondern auch, weil sie nichts von mir wissen wollen. Sie sind wie Hüllen, die zur Projektion einladen und immer wieder hämisch grinsen, wenn ich in schüchterne Fragen verpackt, Vermutungen über ihren Charakter von mir gebe.

 

Nein, sie wissen nicht, warum ich mich für sie interessiere. Und sie wissen vor allem nicht, warum ich immer da bin. Manchmal beobachten sie mich, wie ich sie beobachte. Ich lächle und sie schneiden mir Fratzen. Ich bleibe trotzdem weiter sitzen. Sie haben mich also bemerkt. Ich befinde mich in der Anna–Lindh Grundschule mitten im Berliner Wedding. Die Schülerschaft spiegelt die Bewohner des Stadtbezirks mit einem Ausländeranteil von ca. 60 Prozent wieder. Über 40 Prozent der Erstklässler wurde eine schlechte bis ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache bescheinigt.

 

In der Klasse 1e prallen Realitäten aufeinander. Einerseits fordern die kunterbunt gemischten ethnisch-religiösen Hintergründe eine große Toleranz unter den Kindern und vor allem von Seiten der Lehrerin. Ein Großteil kommt aus der Türkei, der Rest aus dem Libanon, Bosnien, Russland, Nigeria oder Kolumbien. Doch im Gegensatz zu vielen Eltern fällt für die Kinder ihre kulturelle Sondersituation wenig ins Gewicht. Sie sperren sich dagegen, anders zu sein. Sie wollen sich nicht unterscheiden und interessieren sich deswegen wenig für ihre Herkunft. Viele Kinder wissen nicht einmal, woher ihre Eltern stammen und schämen sich, ihre Sprache in der Schule zu sprechen.

 

Grundsätzlich ist die bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft hinter ein weitaus größeres und viel schwerwiegenderes Problem zurückgestellt; die große Kluft zwischen den Anforderungen des Schulalltags und ihren Lebensumständen außerhalb der Schule. Denn das Leben am Existenzminimum und die oft daraus folgende Perspektivlosigkeit der Eltern beeinflussen auch das Leben der Sechs- und Siebenjährigen.

 

In Gesprächen und Zeichnungen erzählen die Kinder schließlich aus ihrer Perspektive von kleinen und großen Hoffnungen, Wünschen und Problemen. Schritt für Schritt fügt sich so ein Bildausschnitt unserer Gesellschaft in Deutschland. Es entstehen kleine, aber nachhaltige Denkanstöße, die zu tieferen und universellen Überlegungen zwingen: Wie gehen wir miteinander um und wie gehen wir vor allem mit unseren Kindern um?

Sophie Narr